Donnerstag, 31. Oktober 2013

Misanthropicana

Nein, kein Grund zur Sorge, ich werde diesen Blog jetzt nicht wiederbeleben. Hier gibt es aber nun ein kleines Schmankerl als Halloween-Überraschung.

Vor ein- zwei Jahren hätte folgendes Essay als Beitrag zu einem Buchprojekt über Satanismus erscheinen sollen. Leider ist aus dem Projekt nichts geworden. Nun fand ich vor kurzem jenen Beitrag in den Tiefen meines Computers wieder und finde es viel zu schade, wenn er dort weiter verstauben würde. Dies war damals mein letztes Geschreibsel bevor ich die Schreiberei an den Nagel hängte.

Viel Spaß!
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Misanthropicana


Ich muß es gestehen. Ich kann und will nicht mehr mit diesem schauerlichen Geheimnis leben müßen. Ja, ich gebe es zu, ich bin ein Verbrecher! Doch bevor Sie schon pflichtschuldigst die Herren in Grün zu mir senden, ich muß Ihren Enthusiasmus leider etwas bremsen. Ich habe gegen kein bestehendes Gesetz unseres Landes verstoßen. Ich habe niemanden getötet, oder beraubt. Ich habe lediglich provoziert. Aber halt, eine bewußte Absicht lasse ich mir hier auch nicht unterstellen. Ich habe niemanden in der Öffentlichkeit Arschloch beschimpft... jedenfalls nicht in dieser Angelegenheit. Ich habe mir noch nicht einmal eine Glatze rasiert und mir auf den Hinterkopf einen Stinkefinger tätowieren lassen. Ich provoziere schlicht durch meine Existenz! 

Die ganzen pubertierenden Teenys, die ganzen Lebensversager, die ganzen psychischen Vampire, sie alle werden jetzt wohl an meinen Lippen hängen um mir zu entlocken wie ich dieses Wunderwerk zustande bringe. Ist doch das Resultat von Provokation die Aufmerksamkeit, welche man deswegen von anderen Leuten geschenkt bekommt. Wenn man nicht durch eigene Leistungen Aufmerksamkeit bekommt, dann muß man sie eben durch Provokation erlangen. In der heutigen, abgestumpften Zeit kann dies schon schwierig werden, im schlimmsten Fall regelrecht in Arbeit ausarten und da wären wir schon wieder im "durch Leistung beeindrucken". Also harren die zuvor genannten Leute auf die Worte mit denen ich mein Geheimnis in die Welt posaune. Ganz ehrlich, ich wäre höchst zufrieden könnte ich diese Personen dazu bringen meinem Geheimnis zu folgen. Die Welt wäre wohl ein besserer Ort hierdurch und in diesem Falle wäre ich sogar stolz als Weltretter fungieren zu dürfen. Leider ist dies aber nicht so einfach. Leider besteht mein Geheimnis in dem Hauptproblem solcher Leute. Obendrein bekommt man mit meinem Geheimnis leider nicht die Reaktionen die man sich sonst aus Provokationen erhofft. Meist wird provoziert um vor anderen als stark angesehen zu werden. Man möchte die Bewunderung der Leute, sei diese nun positiv oder negativ. Mein Geheimnis schafft aber keine Bewunderung, sondern Bedauern. Nur jene welche mein Geheimnis bewundern, denen muß ich mein Geheimnis nicht anvertrauen, da diese schon längst selbst in dessen Besitz sind. Och, es gibt auch viele die oberflächlich mein Geheimnis in die Tat umsetzen, nur die meisten machen dies unfreiwillig, da ihnen ein wichtiger Punkt zu meinem Geheimnis fehlt.

Aber ich will den geneigten Leser nicht allzu sehr auf die Folter spannen. Ich erbitte mir jetzt einen Tusch und unter großem Tamtam verkünde ich mein Geheimnis den lechzenden Massen. ICH BIN GERNE ALLEINE!

So, es ist raus. Puh, welche Erleichterung! Und schon spüre ich förmlich die Welle des Mitleides die auf mich zuzurollen droht. Dies ist wohl der zwangsläufige Preis den ich durch mein Outing zu zahlen habe. Weiß ich doch, daß jede weitere Rechtfertigung von mir nur mit noch mehr Mitleid quittiert wird. Es müssen ja alles Ausflüchte sein mit denen ich mein schweres Los der Einsamkeit wegdiskutieren möchte. Ich würde doch sicherlich nur deswegen meine Verteidigung anstimmen, damit ich doch noch stark erscheinen könnte und mir dadurch den Respekt meiner Mitmenschen verdiene. In Wahrheit fühle ich mich in diesem Fall völlig indifferent. Aber das muß ja dann entweder Verleugnung, oder die Spuren eines jahrelangen bedauernswerten Lebens sein. Ich habe also keine Chance den Makel von mir zu waschen. Ich muß wohl mit der Last leben dafür bedauert zu werden glücklich zu sein.

Es ist schon ein hartes Los sich selbst zu mögen und das in einer Gesellschaft in der sonst niemand sein eigenes Ich ertragen kann. Die Leute plappern und plappern, als ob jede Information die zu ihnen gelangt die Bedrohung einer entsicherten Handgranate hätte - So schnell wie möglich jemand anderen in die Hand drücken damit der sich mit der Gefahr beschäftigen muß. Die Menschen reden nicht um der Information willen, sie benutzen lediglich ihren Gegenüber als Toilette ihres Verbalabfalls. Sie beschäftigen sich mit allen nötigen und unnötigen Dingen (ich vermute mit den nötigen Dingen wird sich nur versehentlich, oder weil gerade nichts anderes übrig ist beschäftigt). Der Fußballverein steigt ab. Die Prinzessin heiratet Die Autofirma hat ein neues Modell auf den Markt geworfen. Die neue Fernsehserie ist so blöd, ich kuck mal ein paar Folgen, vielleicht wird sie besser. Hast Du schon gehört, die fickt mit dem und der schawänzelt um jene. Haben diese Themen irgendeinen produktiven Sinn? Nein, sie sind Zeitvertreib, hört man die Leute sagen. Ein Zeitvertreib der mehr Leben verschlungen hat als sämtliche Kriege der Weltgeschichte! Leben die für nichts weiter verschwendet wurden als Klatsch und Tratsch. Und weswegen? Weil die Leute die Stille nicht aushalten können. Sie können es nicht ertragen mit sich selbst konfrontiert zu werden. Das ist zumindest die Erklärung die ich mir zurechtlege wenn ich einmal mehr in das verständnislose Gesicht meines Gegenübers sehe, wenn er erahnt, daß ich das Alleinsein mag. Ja, ich bin gerne mit mir konfrontiert. Nicht unbedingt weil ich mich als sonderlich interessant empfinde, oder weil ich eine ach so hohe Meinung von mir habe (Wie soll das denn gehen? Da ich seit meiner Geburt mit mir selbst konfrontiert bin, kann ich mich nur als normal empfinden), sondern weil ich mir bewußt bin, daß ich es in der Hand habe wie und warum ich lebe. Kein Buch, kein noch so weiser Yogi, keine schlauen Reden können mir diese eine Aufgabe abnehmen - Mein Leben so zu führen wie ich es für richtig halte. Egal was ich sage, tue oder denke, am Schluß bleibt immer nur ein einziger Richter über mich und das bin ich selbst.

Ich weiß nicht was es ist, daß den Menschen (und Tieren) ihre verschiedenen Veranlagungen eingibt. Den Kurzschluß "Gott" können wir getrost vergessen, will er doch die Menschen ob ihrer guten oder schlechten Taten prüfen. Es wäre also ziemlich hirnrissig wenn er auch noch die Veranlagung zu guten und schlechten Taten in die Menschen legen würde, aber lassen wir es solche "Ideen" auch noch mit rationalen Überlegungen aufwerten zu wollen. Es könnte durchaus sein, daß die Natur irgendwo Handlungsbedarf sieht und den jeweiligen Lebewesen (d.h. auch dem Menschen) die betreffenden Handlungen als Veranlagung eingibt. Das ist zwar nur eine zusammengeschusterte Theorie, aber sie gefällt mir. Mit dieser Theorie im Hinterkopf läßt sich auch das "Individualismus"-Geschwätz besser ertragen. Es ist gerade so modern von seinem Individualismus zu schwärmen und dennoch laufen gerade jene die sich Individualisten schimpfen erstaunlich ähnlich durch die Welt. Es etablieren sich Dresscodes, Verhaltensweisen und Gedankendogmen, welche diese Individualisten verbinden. UND DAS IST GUT SO! Lediglich sollte man hier nicht von Individualismus sprechen, sondern von einer Szene, einer Bewegung. Und ja, es ist durchaus möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, daß all die kleinen Gleichgekleideten tatsächlich Individualisten sind. Wer Individualismus nur an Kleidung und Gebaren festmacht, für den wirkt solch ein Schauspiel geradezu wie eine Scharade. Wer aber verstanden hat, daß die Menschen onehin erstaunlich ähnlich sind und jeder Zusammenschluß von Menschen seine eigenen Riten und Bräuche entwirft, der könnte im Individualismus etwas anderes, tieferes erkennen. Nämlich das bewußte auseinandersetzen mit den eigenen Vorlieben und Abneigungen, das erkennen des eigenen Ichs, welches darauffolgend sich diejenige Gesellschaft erwählt, welche dem Individuum am ehesten zusagt. Mit absoluter Sicherheit werden sich erstaunliche Gemeinsamkeiten mit den anderen Mitgliedern der jeweiligen Gesellschaft finden. Hat die Person dadurch ihre Indiviualität verloren? Nein, im Gegenteil! Sie hat endlich ein Umfeld gefunden in dem sie diese ausleben kann.

Dies nur als kleine Anekdote was mich am Satanismus reizt. Von der grundlegenden Übereinstimmung mit dieser Weltsicht einmal abgesehen, bin ich hellauf begeistert vom pflegen und kultivieren des eigenen Selbst, wie es in dieser Religion vermittelt wird. Es gibt zwischen den Mitgliedern dieser Religion ein ungeschriebenes Gesetz der Distanz, daß ich zutiefst schätze. Ich habe hier Menschen gefunden die ich mag, sogar einige die ich als Freunde bezeichne. Aber ich brauche keine Angst zu haben, daß diese plötzlich Abends vor meiner Tür stehen und mir den Kühlschrank leer fressen. Auch werde ich nicht eine halbe Stunde lang angebettelt, daß wir uns an der örtlichen Tankstelle heute nacht betrinken sollten. Was anscheinend der Rest der Welt vergessen hat, hier ist sie noch lebendig, die Regel, daß Distanz aus Respekt eingehalten wird. Der Umstand das jeder sein eigenes Leben führt und dieses auch nicht gestört, sondern im Idealfall bereichert werden soll. Ob jemand das Leben eines anderen bereichert, kann und darf nur von dem eingeschätzt werden der sich eventuell bereichern läßt! Das ist für mich der Kernpunkt des Satanismus. Das Wissen um die Wichtigkeit der selbstbestimmten Qualität des eigenen Lebens, wie auch das der anderen.

Die Annahme, daß wenn jemand alleine ist, dieser jemand von seinem Alleinsein erlöst werden möchte, scheint eine Grundregel im menschlichen Miteinander zu sein. Darum nennt man es wohl auch Miteinander... Daß jedes Lebewesen grundsätzlich selbst entscheiden kann ob es Gesellschaft will, oder nicht, das scheint in der gesamten Natur selbstverständlich zu sein, außer in der menschlichen Zivilisation. Ja, Zivilisation ist entstanden und kann nur weiterbestehen wenn Menschen zusammen arbeiten. Und ein Leben in der Zivilisation ziehe ich ganz eindeutig dem Leben im Wald unterm Blätterdach und Wurzeln essend vor. Zum Erhalt der Zivilisation gibt es aber die gute alte Arbeit zu der man (meist) jeden Wochentag geht, um sich seinen privaten Luxus und sein Überleben zu sichern. Was aber macht die Mehrheit der Menschen aus diesem schönen System? Man zieht täglich seine hängenden Mundwinkeln zur Arbeit und lamentiert sich durch den Tag, während man sich nach der Arbeit zu irgendwelchen Freunden stürzt, oder man sitzt Zuhause rum und hofft, daß schnellstmöglich ein Freund einen aus dieser Qual befreit. Da macht es auch nichts wenn der letzte Prolet unangemeldet vor der Tür steht, Hauptsache nicht mehr alleine. Kurz man ist deprimiert weil man arbeiten "muß" und freut sich auf das Nachhause kommen, dem man wiederum schnellstmöglich wieder entfliehen will, da man nicht allein sein möchte - Ich könnt mich kringeln. Ich gehe gerne arbeiten, weil ich mir bewußt bin, daß ich damit mein Leben Zuhause verbessern kann. Ich weiß, daß ich mir mit dem verdienten Geld Dinge kaufen kann die mein Leben auf unterschiedlichste Art bereichern. Dies bedeutet im Umkehrschluß, daß ich gerne Zuhause bin, in meinem Zuhause. Mein Zuhause ist Teil meiner Persönlichkeit, ist aus mir erwachsen und mit mir verbunden. Dies schreibe ich in vollem ernst! Egal wo ich in meinem Zuhause hinblicke, ich sehe materialisierte Persönlichkeit. Jeder Gegenstand in meinem Zuhause erweckt in mir die Geschichte wie dieser Gegenstand zu mir kam und was ich mit ihm erlebte. Ich spüre die Emotionen wieder die ich vor langer Zeit spürte und mit diesem Gegenstand verbunden hatte, wie diese Emotionen mich prägten und es immer noch tun. 

Als ich in meiner frühen Jugend einen Klassenkameraden besuchte, verstörte mich dessen Zimmer zutiefst. Es war kein ärmliches, aber ein nacktes Zimmer. Es hingen keine Poster an den Wänden, kein Spielzeug lag in der Ecke, keine CDs der Lieblingsband lagen herum. Noch mehr als ein Teenyzimmer das vollgestopft von den gegenwärtigen gleichgeschalteten Trends ist, verängstigt mich solch ein nacktes Zimmer. Natürlich ist es nicht das Zimmer an sich das mich verängstigt, es ist die Persönlichkeit des Bewohners. Oder besser gesagt, das fehlen der Persönlichkeit des Bewohners. Ich finde es mittlerweile noch nicht einmal erstaunlich, wenn ich im Laufe meines Lebens stetig mehr solcher Wohnungen besichtigen musste. Je mehr "erwachsen" sich die Leute fühlten, desto toter wurden deren Wohnungen. Mittlerweile bin ich über Dreißig und sehe fast nur noch solche Wohnungen. Man könnte meinen, das erwachsen werden ist gleichzusetzen mit dem Verlust der Persönlichkeit. Ich habe auch die anfängliche Angst vor toten Wohnungen verloren, sie ist einer bedauernden Langeweile gewichen. Ich kann nichts mehr für Leute empfinden die sich schon während ihres Lebens selbst beerdigten. Wenn ich hingegen mein Zuhause betrete, wird mir mit einem Male der Sinn des alten Mythos bewußt, daß eine Hexe nur in ihrem eigenen Wohnumfeld Zauberkräfte besitzen soll. Wer jemals ein lebendes Zuhause betreten hat, der weiß welch enorme Energie in diesen Räumen haust. Man betritt nicht vier Wände mit einem Dach darauf, man dringt ins Innerste des Besitzers, betritt SEINE Welt, respektiert ihn als König in seinem Reich, welches er gnädiger Weise für einen öffnete. Man spürt Totem und Tabu in jeder Ecke. Man weiß instinktiv hier lebt ein ICH. So etwas nenne ich ein wirkliches Zuhause! Wenn ich "normale Menschen" solch ein Zuhause besuchen sehe, dann kann ich mir vorstellen wie sich Neanderthaler in einer heutigen modernen Großstadt verhalten würde. Da wird angetatscht. Da wird über die "Unordnung" die Nase gerümpft - Da sie unfähig sind den Geist dahinter zu verstehen. Da wird verständnislos der Kopf geschüttelt. Im Grunde wird mit jedem Schritt den solche Leute in einem wirklichen Zuhause tun, dem Eigentümer ins Gesicht gespuckt. Jede Minute ihrer Gegenwart in solch einem Zuhause kann ein empfindender Mensch nur als Sakrileg empfinden. Sollen sie weiter in ihren standartisierten Einheitsmöbeln hausen, ein Zuhause werden solche Leute überall und nirgends haben. Genauso wie ihre Persönlichkeit austauschbar und irrelevant ist.

Für mich ist es nur natürlich gerne Zuhause zu sein. Hier bin ich in mir, bei mir, umgeben von mir. Ich kann mich tagelang Zuhause einschließen und mir würde nicht langweilig werden. Langweilig wurde mir bisher immer nur in der Gesellschaft anderer Menschen. Das tote Gelaber. Die ewig gleichen Themen. Das schlechte Laienschauspiel. Wenn ich mich den gesellschaftlichen Konditionen anderer Menschen ausliefern muß, dann schmerzt dies. Jede Minute in solch einer Gesellschaft spüre ich wie eine Messerspitze die langsam in mich gebohrt wird. Jede Minute in der ich davon abgehalten werde für mich interessante Dinge zu tun, oder zu lernen, fühle ich als ob jemand Teile meines Selbst und die Zeit die ich damit verbringen kann, aus mir herausreißt. 

Mit jedem Gegenstand den ich in mein Zuhause bringe wachse ich, verfeinere ich mich, lerne ich. Es ist ein häufiges Vorurteil, daß Alleinsein Stagnation bedeutet. Ich empfinde hierbei das Gegenteil. Alleinsein kann zu Stagnation verkommen bei Leuten die keinen inneren Antrieb haben. Leute die insgeheim sich und das Leben verachten. Bei mir ist dies nicht der Fall. Ich will wissen, lernen und die Möglichkeiten des Lebens nach meinen Bedürfnissen auskosten. Jedes Buch, jeder Film, jeder Gegenstand, den ich in mein Leben hole, bringt mir ein mehr an Erfahrung, ein mehr an Wissen, ein mehr an mir. Wenn ich z.B. ein Buch lese, erhalte ich nicht nur die Informationen die in dieses Buch geschrieben wurden, ich erhalte auch Informationen von mir, wie ich auf den Inhalt dieses Buches reagiere. Jene Gedanken, Gefühle und Erlebnisse die ich habe während ich das Buch lese sind auch Informationen die für mich wichtig sind, da sie meine Persönlichkeit erweitern. Ich bin nicht mehr der, der ich vor zehn Jahren war und dafür bin ich enorm dankbar. Aber wem kann ich für diesem Zugewinn an "Ich" mehr danken als mir selbst, der ich hauptsächlich Schuld am Zugewinn meiner Lebenserfahrung habe? Das Leben ist nichts vor dem man sich verstecken muß, aber es ist auch nichts das man mit aller Gewalt und völlig unreflektiert an sich vorbeiziehen lassen sollte. Was nützt es mir täglich auf Partys zu rennen und ständig neue Leute kennen zu lernen, wenn ich so abgestumpft bin, daß diese Erlebnisse keine Spuren mehr an mir hinterlassen? 

Aber, aber, werden einige Leute nun einwenden wollen, wie sieht es mit Freundschaften, Partnerschaften und Liebeleien aus? Ist es nicht schrecklich deprimierend das Leben mutterseelenallein hinter sich zu bringen? Habe ich gar ein lebenslanges menschliches, oder noch viel schlimmer, sexuelles Zölibat auf mich genommen? Die Antwort lautet "Nein"! Ich verzichte auf nichts (weswegen auch?), aber ich habe Freiheit gewonnen. Damit meine ich nicht die Freiheit nicht auf andere Menschen eingehen zu müssen, oder im Umgang mit ihnen hier und da Zugeständnisse machen zu müssen. Jede Beziehung fordert so etwas, selbst das heißgeliebte Auto möchte gepflegt und gewartet werden. Nein, ich meine hiermit die Freiheit mir die Menschen mit denen ich meine wertvolle Zeit verbringe bewußt aussuchen zu können (im guten wie im schlechten). Natürlich sehne ich mich auch hin und wieder nach anderen Menschen und lasse welche in meine Behausung, aber es sind dann die richtigen. Jene deren Gegenwart auf irgend eine Weise eine Bereicherung meiner Selbst ist. Es ist der Unterschied zwischen dem Genuß eines edlen Weines zur Feier eines schönen Tages und dem saufen von billigem Fusel eines Alkoholikers. Seien wir ehrlich, die meisten zwischenmenschlichen Beziehungen sind nicht bewußt zustande gekommen, sondern sind lediglich aus den jeweiligen Umständen hervorgegangen, das Resultat einer verzweifelten Menschenabhängigkeit.

Dank des Internets nehmen die bewußten zwischenmenschlichen Beziehungen in den letzten Jahren zu und ich finde diese Entwicklung phantastisch. Aber gehen wir nur zehn-, fünfzehn Jahre zurück. Es war doch meist der Fall, daß die "besten Freunde" und der "Seelenpartner" zufällig alle im gleichen Dorf zusammentrafen. Man kannte sich aus der Schule, von gemeinsamen Freunden, von der Arbeit, von der gleichen Dorfdiskothek. Hat dies etwas mit bewußter Wahl zu tun? Man könnte auch ein halbwegs attraktive Frau mit einem gleichwertigen Mann in einem Raum einsperren, nur um sie dann ein paar Wochen später von jener schicksalhaften Zusammenkunft mit ihrem "Seelenpartner" schwärmen zu hören. Die Menschen haben einen Sexualtrieb und ein Bedürfnis nach Kommunikation, das sind die Tatsachen. Diese Triebe wollen ausgelebt werden und unterbewußt baut sich hier ein enormer Druck auf, falls eine Verweigerung des auslebens dieser Triebe in Aussicht gestellt wird. Und wenn Menschen unter Druck Entscheidungen fällen müssen, dann fallen diese oft nicht unbedingt intelligent aus. Ich will hier keine große Beweisführung vom Zaun brechen. Reflektieren Sie Ihre Erlebnisse, blicken Sie sich in Ihrem Bekanntenkreis um, laufen Sie ruhig mit offenen Augen durch die Fußgängerzone. Ihnen wird die Tatsache des "verzweifelten Zusammenlebens" förmlich entgegen geschrien werden. Hier sage ich mir "Stop"! Hier sage ich mir: "Ich möchte die Leute mit denen ich verkehre bewußt aussuchen. Ich will Herr über mein Schicksal sein". Auch ich hatte und werde oft genug falsche Entscheidungen treffen und mich mit den falschen Leuten abgeben, das gehört zum Leben. Aber zumindest kann ich mir sagen, daß ich mich von mir aus für diesen Weg entschieden habe. Ich schließe keine Freundschaft nur weil es sich so fügt, sondern weil ich es so möchte. Ich erkenne meine natürlichen Triebe als einen Teil von mir, aber gesellschaftliche Rahmenbedingungen sind immer wandelbar. Bevor ich mich also von meinen Trieben ins Verderben schicken lasse, weil dies die logische Folge der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wäre, suche ich eher danach diese Rahmenbedingungen zu ändern bzw. mir neue bessere Alternativen zu suchen. Wenn meine Traumfrau plötzlich vor meiner Türe stehen würde, würde ich sie mit Sicherheit nicht in die Walachei schicken. Aber ich sehe es nicht ein den gleichen Luxus jedem dahergelaufenen Bauerntrampel zu gönnen. Damit würde ich in meinen Augen nicht nur mich, sondern auch meine Freunde, sowie vergangene und zukünftige Bettgefährtinnen entehren. Und wenn keine Traumfrau kommen sollte, was solls. Man kann nichts verlieren das man niemals hatte, auch wenn sämtliche unglücklich Verliebten dies anders sehen.

Solange ich die Bekanntschaften die ich eingehe weil ich es will und nicht weil ich es muß, solange werde ich meine Freiheit die ich durch mein Alleinsein erhalte, zutiefst zu schätzen wissen. Müßte ich, wie es in so vielen Leben der Fall ist, nur aus Angst vor dem Alleinsein, die erstbeste Dorfschnalle welche mir über den Weg läuft heiraten, oder mir von unsäglichen Schmarotzern die Zeit stehlen lassen, so würde mir dies die Freude am Leben rauben, da ich mein Ich nicht mehr adäquat ausleben könnte. Anscheinend im Gegensatz zu den gesichtslosen grauen Massen dort draußen, bin ich nicht bereit diesen Kuhhandel einzugehen.

Der soziale Aspekt einer Freude am Alleinsein ist wohl einer der wichtigsten und am meisten übersehenen. Wenn ich gerne alleine bin, dann ist die Zeit die ich anderen Menschen opfere unendlich viel kostbarer als dies ansonsten der Fall wäre. Kostbarkeiten wirft man gemeinhin nicht in jede Gosse, man schenkt sie nur ganz besonderen Menschen. Hat man solche besonderen Menschen gefunden, dann ist solch ein Geschenk immer beidseitig. Man gewinnt in dem man teilt, aber hierfür muß man auch etwas von Wert zum teilen haben.

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