Freitag, 4. Mai 2012

Vormenschen in der Maya-Mythologie

Popol Vuh

Popol Vuh ("Ratsbuch"), in moderner Quiché-Schreibweise Popol Wuj, ist das heilige Buch der Quiché-Maya in Zentralamerika. Es behandelt mythologische und historische Aspekte dieses Volkes.


Geschichte 

Das Popul Vuh hat seinen Ursprung in uralten Überlieferungen, die im gesamten Maya-Kulturraum verbreitet waren und in Maya-Schrift aufgeschrieben wurden. Die Spanier verboten die Verwendung der Maya-Schrift und vernichteten die Handschriften als "Teufelszeug". Einigen Maya-Priestern gelang es jedoch, Abschriften alter Maya-Bücher anzufertigen, wobei sie auch schon lateinische Schrift verwendeten. Eine dieser Abschriften fiel um das Jahr 1702 dem spanischen Dominikaner-Priester Francisco Ximénez in der guatemaltekischen Stadt Chichicastenango in die Hände. Anstatt sie vorschriftsmäßig zu vernichten, fertigte er eine weitere Abschrift sowie eine Übersetzung ins Spanische an. Dieser Text verblieb nach Ximénez' Tod im Besitz der Dominikaner, bis diese 1829/30 von General Francisco Morazán aus Guatemala vertrieben wurden, und gelangte dann in die Bibliothek der Universidad de San Carlos in Guatemala-Stadt, wo er 1854 von Abbé Brasseur de Bourbourg und Carl Scherzer gefunden wurde. Diese veröffentlichten wenige Jahre später eine französische und eine spanische Übersetzung, denen Übersetzungen in weitere Sprachen folgten. Das Manuskript von Ximénez enthält einige sprachliche Fehler, die nach Meinung einiger Experten auf die genaue Transliteration eines vorherigen Textes in Maya-Schrift zurückzuführen sind, was wiederum als Beweis gelten könnte, dass der Originaltext bereits wesentlich älter (vorkolonial) war. Einige Teile des Textes wurden aber auf jeden Fall in der spanischen Kolonialzeit hinzugefügt, so z. B. die Namen der spanischen Gouverneure von Guatemala als Nachfolger der früheren Quiché-Herrscher. Das Original-Manuskript von Ximénez befindet sich in der Newberry Library in Chicago.

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Popol_Vuh_%28Buch%29

 Zerstörung der Vormenschen:


So galt es denn einen neuen Versuch, den Menschen zu schaffen und zu bilden.
Der Schöpfer, der Former und die Erzeuger sagten:
  
»Auf ein neues! Schon naht die Morgenröte.
Schaffen wir jene, die uns erhalten und ernähren.
  
Was ist zu tun, daß man uns anrufe und erinnere auf der Erde?
Schon schufen wir unsere ersten Werke, unsere ersten Wesen.
Aber sie konnten uns nicht preisen und verehren.
  
Laßt uns denn ein Wesen schaffen, das gehorsam sei und ergeben
und uns nährt und erhält.« Also sprachen sie.
   
Darauf geschah die Schöpfung und Formung.
Aus Erde, aus Lehm machten sie des Menschen Fleisch.
  
Aber sie sahen, daß es nicht gut war.
Denn es schwand dahin, es war zu weich, es war ohne Bewegung und ohne Kraft,
es fiel um, es war weich,
  
es bewegte nicht den Kopf, das Haupt hing zu einer Seite,
der Blick war verschleiert, es konnte nicht rückwärts blicken.
  
Wohl sprach es, aber es hatte keine Vernunft. 
  
Bald weichten es die Wasser auf, und es sank dahin. 
  
Und es sagten der Schöpfer und der Former:
»Es zeigt sich, daß das nicht gehen und sich nicht vermehren kann.
Hierüber müssen wir uns beraten.« So sagten sie.
  
Dann zerstörten und zerschlugen sie das Werk ihrer Schöpfung. 
  
   
5. 

Und sie sagten darauf:
»Wie können wir unsere Anbeter, unsere Anrufer vollkommener erschaffen?«
  
So beschlossen sie nach neuer Beratung unter sich: 
  
»Lasset uns sagen zu Ixpiyacóc, Ixmucané, zu Hunahpú-Vuch und Hunahpú-Utiú:
Versucht es noch einmal! Versucht die Schöpfung!«
  
So sprachen der Schöpfer und der Former
zu Ixpiyacóc und Ixmucané.
  
So sprachen Tzakól und Bitól zu jenen Zauberern
Tagahne und Dämmerungsahnin,
deren Namen waren Ixpiyacóc und Ixmucané.
  
Und Huracán und Tepeu und Gucumátz sagten zu den Zauberern,
die die Sonne aufgehen lassen und einschließen:
  
»Es gilt eine neue Zusammenkunft. Es gilt die Mittel zu finden,
daß der Mensch, den wir formen, der Mensch, den wir schaffen werden, uns erhalte und nähre,
daß er uns anrufe und unserer gedenke.«
  
»Kommet denn zur Beratung, Ehrwürdige, Ehrwürdiger,
Großmutter, Großvater, ihr, Ixpiyacóc, Ixmucané,
streut Samen, schaffet Licht,
  
auf daß man uns anrufe, auf daß man uns anbete,
daß der erschaffene, der geformte, daß der sterbliche Mensch unserer gedenke.
Macht, daß es also sei!«
  
»Offenbart eure Namen: Opossum-Geist, Coyote-Geist,
Doppelmutter, Doppelvater, Großer Eber, Großer Dachs,
  

Herr der Jade, Silberschmied, Bildhauer, Schnitzer,
Herr der blauen Schale, Herr der Jadeschüssel,
Meister des Weihrauchs, Meister Toltecat, Sonnenahne, Dämmerungsahnin 
  
so werden eure Werke und Wesen euch rufen.« 
   
»Werfet das Los mit Maiskörnern und Tsité-Bohnen!
Tut das, um zu sehen, ob wir Mund und Augen aus Holz schnitzen sollen.«
So sagten sie den Zauberern.
  
Es geschah die Wahrsagung, und das Los wurde mit Mais und Tsité geworfen.
»Schicksal! Geschöpf!« riefen dabei der Alte und die Alte.
  
Der Alte, der das Los mit Tsité-Bohnen warf, war der, welcher Ixpiyacóc heißt.
Die Alte zu seinen Füßen, die Zauberin, die Bildnerin, deren Name ist Ixmucané.
  
Die Wahrsagung beginnend sagten sie: 
  
»Legt euch zueinander! Sprecht, damit wir hören! 
  
Entscheidet, ob Holz gesammelt werden soll,
damit der Schöpfer und der Former es bearbeiten.
  
Ob das herauskommt, was uns unterhalten und nähren soll,
wenn es Licht wird, wenn es dämmert.«
  
»Du, Mais! Du, Tsité! Du, Los! Du, Schöpfung! Du, Feuerschoß! Du, Rageglied!«
So sagten sie zu Mais, Tsité, Los, Schöpfung.
  
»Sieh schamvoll weg, Herz des Himmels,
um Tepeu und Gucumátz nicht zu kränken.«
  
Da sprachen die Lose und wahrsagten: 
  
»Eure Gebilde aus Holz werden glücken.
Sie werden reden und sich verstehen auf dem Antlitz der Erde.«

»So soll es sein«, war die Antwort auf diese Rede. 
  
   
6. 

Und sogleich wurden die Wesen aus Holz geschaffen.
Sie glichen dem Menschen, sie sprachen wie Menschen und sie bevölkerten die Erde.
  

Sie lebten und bevölkerten die Erde,
Söhne und Töchter hatten die Wesen aus Holz.
  

Aber sie hatten keine Seele, keinen Verstand,
sie erinnerten sich nicht des Schöpfers und Formers.
Ziellos gingen sie herum und auf allen vieren liefen sie.
  
Weil sie das Herz des Himmels nicht erinnerten,
wurden sie verworfen.
  
Sie sprachen zwar anfänglich, aber ihr Gesicht war bewegungslos.
Ihre Füße und Hände waren ohne Kraft.
  
Weder Flüssiges noch Festes war in ihnen, weder Blut noch Fleisch.
Trocken waren ihre Wangen, trocken Fuß und Hand,  gelb das Fleisch.

Es war nur ein Entwurf, ein Versuch zum Menschen. 
  
Darum vergaßen sie den Schöpfer und den Former,
die sie geschaffen hatten und umsorgten.
  
Das waren die ersten Menschen, zahlreich
lebten sie auf der Erde Antlitz.
  
  
CAPITULO III 
  
Darauf wurden sie zerstört  und vernichtet,
diese Gebilde aus Holz, und empfingen den Tod.

Eine Flut erweckte das Herz des Himmels,
und große Wasser fielen auf das Haupt der Wesen aus Holz.

Aus Tsité war des Mannes Fleisch gemacht, aber das Fleisch der Frau machten
der Schöpfer und der Former aus Schilf.
Aus diesem Stoff hatten sie sein sollen nach dem Willen des Schöpfers und des Formers.
  
Aber da sie nicht dachten, da sie nicht mit dem Schöpfer und dem Former sprachen,
die sie geschaffen und geformt hatten,
darum wurden sie getötet, wurden sie ertränkt.
  
Flüssiges Harz troff vom Himmel. 
  
Es kam Herrscher Eule, Xecotcovách, und riß die Augen aus.
Die Große Fledermaus, Camalótz, kam und riß den Kopf ab.
  
Der Reißende Jaguar, Cotzbalám, kam und verschlang das Fleisch.
Der Tapir Tucumbalám kam auch, brach und zermalmte Knochen und Sehnen,
er zerstampfte und zerrieb das Gebein.
  
Und das geschah zur Strafe,
da sie weder ihres Vaters noch ihrer Mutter gedacht hatten,
nicht des Herzens des Himmels, dessen Name Huracán ist.
  
Darum verdunkelte sich das Antlitz der Erde,
und es begann ein schwarzer Regen, Tagregen, Nachtregen.
  
Es kamen auch die kleinen und großen Tiere,
die Stöcke und Steine, und sie schlugen ihnen ins Gesicht.
  
Und alles fing an zu sprechen.
Und die Wasserkrüge, die Platten, Schalen und Schüsseln, die Hunde, die steinernen Maisreiben,
alle erhoben sich und schlugen ihnen ins Gesicht.
  
»Übles habt ihr uns getan. Ihr habt uns gegessen,
jetzt beißen wir euch«,
sagten die Hunde. Und das Federvieh sprach gleiches.
  
Und die steinernen Maisreiben: »Gefoltert habt ihr uns.
Jeden Tag, jeden Tag, des Nachts und in der Dämmerung
machte es holi-holi huki-huki auf unserem Gesicht, euretwegen.
  
Das war der Tribut, den wir euch zahlten. 

Aber jetzt, wo ihr keine Menschen mehr seid, lernet unsere Kraft kennen!
Zermahlen werden wir, zu Staub zerreiben werden wir euer Fleisch.«
So sprachen die Reibesteine.

Und hier, was ihre Hunde sprachen und ihnen sagten:
»Warum habt ihr uns kein Fressen gegeben?

Kaum blickten wir euch an, so jagtet ihr uns schon von eurer Seite
und jagtet uns heraus mit dem Stock an eurer Seite.

Vielleicht würden wir euch jetzt nicht töten. 

Aber warum habt ihr nicht nachgedacht
und seid ihr nicht in euch gegangen?
  
Darum werden wir euch jetzt zerstören,
darum werdet ihr jetzt die Zähne in unserem Maul kennenlernen.«
So sprachen die Hunde. Und darauf zerrissen sie ihnen das Gesicht.
  
Und ihrerseits sprachen die Pfannen und Schüsseln also:
»Schmerz und Leiden habt ihr uns verursacht.
  
Rußig waren uns Mund und Angesicht.
Stets standen wir auf dem Feuer und ihr verbranntet uns,
als ob wir keinen Schmerz fühlten.

Jetzt werdet ihr es fühlen. Verbrennen werden wir euch.«
So sprachen die Schüsseln und zerstörten ihnen das Antlitz.
  
Und die Steine des Herdes flogen vom Feuer,
schmerzhaft schlugen sie gegen die Köpfe.

Verzweifelt rannten jene hierhin, dorthin. 

Sie trachteten auf die Häuser zu steigen, und die Häuser stürzten ein. Zu Boden fielen sie.
Sie trachteten auf die Bäume zu steigen, und die Bäume schleuderten sie weit davon.
Sie trachteten in die Höhlen zu gelangen, und die Höhlen schlossen sich vor ihnen.

Das war der Untergang der Menschen, die geschaffen und geformt wurden;
der Menschen, die für Zerstörung und Vernichtung gemacht worden waren.
Allen jenen wurden Mund und Antlitz zerstört.
  
Und man sagt, die Nachkommen jener seien die Affen, die heute in den Wäldern leben.
An ihnen kann man jene erkennen, denen Schöpfer und Former aus Holz das Fleisch machten.
  
Darum gleicht der Affe dem Menschen, als Erinnerung an eine Menschenschöpfung,
an Menschen, die nichts waren als Puppen aus Holz.


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