Freitag, 20. Januar 2012

DIE UNIFRAUEN AUF WALDRASTEIN

Nein liebe Leser, hier geht es nicht um wilde Studentinnen, sondern um überaus interessante Fabelwesen (?). Aber lest selbst:


Ein Ausläufer des als Aufenthalts- und Versammlungsort der Hexen berüchtigten Hochstradners ist der Waldrastern, ein Basaltfels mit breiter, schroff abfallender Wand und einer Höhle. Es ist eine recht schauerliche, wildromantische Gebirgslandschaft. Die zersplitterten Basaltfelsen mit ihren dunklen Schluchten, umwoben von dem Schleier der geheimnisvollen Sage, üben einen gar eigenartigen Eindruck auf das Gemüt des Wanderers, der seinen Fuß hieher setzt und erfüllen ihn mit heimlichem Schauder. Nur der Anblick des Dörfleins Waldra, welches zu seinen Füßen liegt und gar freundlich heraufschaut, vermag den düsteren Eindruck ein wenig zu mildern; aber auch dieses bietet ein romantisches Bild, denn seine Häuser liegen eingezwängt zwischen zwei Gießbächen, die sich knapp an der Straße jäh in eine nicht unbeträchtliche Tiefe stürzen.

Auf der Höhe des Waldrasteins soll nun vor alter Zeit ein Schloß gestanden sein, von dem noch die umliegenden Steintrümmer herrühren; auch fünf steinerne Stufen, die hier ersichtlich sind, sollen davon herstammen. In der Höhle selbst aber wohnten früher die Unifrauen. Es waren dies Wildfrauen, gar wunderschöne weibliche Wesen, die sich stets unbekleidet zeigten. Die Hände waren schneeweiß; die Füße aber, wie überhaupt der Unterleib, hatten ein tierähnliches, eigenartiges Aussehen.

Die Unifrauen waren sehr menschenscheu und flüchteten sich sogleich in ihre Höhle, wenn ihnen jemand nahe kam. Im übrigen waren sie braven Menschen sehr zugetan und verrichteten für sie selbst die Feldarbeit, was meist des Nachts oder in früher Morgenstunde geschah. Besonders zeigten sie sich den Bewohnern von Waldra sehr geneigt und richteten für sie die Arbeit, wenn solche dringend war. Die Bäuerinnen aber hatten dafür diese Wildfrauen recht lieb, und zum Danke für ihre Hilfeleistung stellten sie ihnen tagtäglich das Essen aufs Feld. Die Unifrauen verschmähten solchen Dank der schlichten Bewohner ganz und gar nicht, vielmehr ließen sie sich das Gebotene trefflich schmecken und taten sich dabei gütlich; wenn sie dann ihre Mahlzeit vollendet und sich in ihre Höhle zurückgezogen hatten, kamen die Bäuerinnen und trugen das geleerte Geschirr wieder nach Hause. Einmal jäteten die Unifrauen für eine Waldraer Bäuerin Hirse auf dem Felde. Die Bäuerin kam nun früher, als es an der Zeit war, und brachte ihnen das Essen. Da sah sie nun dieselben und war ganz entzückt über ihren wunderschönen Oberkörper. Aber als sie dann die Füße besah, entfuhr ihr ein leiser Ausruf des Entsetzens, und im Nu waren die freundlichen Geschöpfe vor ihren Blicken verschwunden.

Lange Zeit sollen diese menschenfreundlichen Wildfrauen in der Höhle am Waldrastein gehaust haben. Einst aber, mitten in der Nacht, erscholl von dem Felsen her ein schauerliches Heulen, Weinen und jämmerliches Stöhnen, darauf ein schreckliches Gepolter und Krachen, als ob der ganze Berg einstürze. Sämtliche Bewohner von Waldra hörten den furchtbaren Lärm und waren in größter Aufregung, denn so viel schien ihnen klar, dort oben auf dem Waldrastein mußte es gar wild und ungeheuerlich zugehen. Als tags darauf einige beherzte Männer aus dem Dorfe den Felsberg hinanstiegen, fanden sie die Höhle eingestürzt, von den Unifrauen aber keine Spur mehr. Allgemein glaubte man, daß in der Nacht der Teufel, welcher auf dem Hochstradner mit den Hexen sein Unwesen trieb, die freundlichen Wildfrauen zerrissen hätte.

In eben derselben Nacht stand ein Knecht aus dem Dorfe gerade im Freien auf dem Felde und streichelte seinen Hund, welcher "Teuxl" hieß. Mit einem Male ertönte das Jammergeschrei der armen Unifrauen vom Waldrastein herüber. Nun rief der Knecht, welcher wohl wissen mochte, was da oben vorging: "Huß! Huß! Teuxl, pack an, mir a an Biegel!" Und der Hund lief davon und kehrte nicht mehr zurück. Aber am anderen Tage, früh morgens, sahen die Leute des Dorfes am Hoftore des Hauses, in dem der Knecht diente, einen Fuß hängen; es war wirklich ein Fuß der armen Unifrauen.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911

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