Sonntag, 6. Februar 2011

Wenn Tiere eine nahende Katastrophe spüren

Auffälliges Tierverhalten
Forscher rätseln über Erdbebenwarnung durch Kröten

Tiere spüren eine nahende Katastrophe - das legen zumindest diverse Berichte nahe. Mäuse warnten 1976 vor einem Beben in Italien, 2004 flüchteten Elefanten vor dem Tsunami in Asien. Tage vor dem verheerenden Beben in China verhielten sich Hunderttausende Kröten auffällig. Was fühlten sie?

Karlsruhe - Diesmal wurden die Warnsignale offenbar übersehen: Tage vor dem verheerenden Beben in Südwestchina waren Hunderttausende Kröten aus der Erde gekrochen und durch die Stadt Mianyang gehüpft. Die Tiere verhielten sich damit ebenso ungewöhnlich wie jene Schlangen, die Anfang Februar 1975 um die nordostchinesische Stadt Haicheng herum vorzeitig aus dem Winterschlaf erwachten, um einem Beben zu entfliehen, das die Stadt wenige Tage später in Trümmer legte. Damals hatten Seismologen das Verhalten der Tiere richtig gedeutet, entsprechende Messungen vorgenommen und die Stadt rechtzeitig räumen lassen.

Dass sich Tiere Stunden und Tage vor einem Erdbeben seltsam verhalten und Fluchtreaktionen zeigen, ist seit der Antike mehrfach dokumentiert. Der griechische Naturforscher Plinius der Ältere, der beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 starb, berichtete darüber ebenso wie Bauern in der italienischen Region Friaul, wo am 6. Mai 1976 Mäuse aus dem Boden krochen und Stalltiere panisch wurden, bevor ein Erdbeben am Abend knapp tausend Menschenleben kostete.

Weltweit versuchen Wissenschaftler das Phänomen der tierischen Vorahnung seit Jahren zu ergründen. Helmut Tributsch, Professor für physikalische Chemie an der Freien Universität Berlin, hat darüber sogar ein Buch geschrieben, das in dem Titel "Wenn Schlangen erwachen" die glückliche Rettung der Stadt Haicheng aufgreift. Der Wissenschaftler kommt nach statistischen Auswertungen zahlreicher Tierbeobachtungen zu dem Ergebnis, dass vor allem Höhlenbewohner wie Mäuse, Ratten, Schlangen und Fledermäuse rund 20 Stunden vor einem Beben ab der Stärke 6,5 durch Verhaltensveränderungen auf sich aufmerksam machen.

Doch was Vögel, Pferde, Elefanten und Fische veranlasst, vor einem starken Erdbeben verrückt zu spielen, ist nicht geklärt. Eine These besagt, dass durch den starken Druck und die Reibung im Gestein elektrische Ströme entstehen, die wiederum das in feinen Gesteinsrissen vorhandene Wasser zersetzen. Die dabei entstehenden positiv geladenen Teilchen würden von den Tieren als Aerosole über die Atemluft aufgenommen und verursachten bei ihnen die Ausschüttung des Angst auslösenden Nervenbotenstoffs Serotonin. Dass es vor Beben zu Aufladungen in der Atmosphäre kommt, die Wetterleuchten auslösen können, hatten auch Geoforscher schon beobachtet.

Doch Tiere können Erdbeben womöglich nicht nur riechen, sondern auch rechtzeitig fühlen. Bei dem Seebeben, das an Weihnachten 2004 in 40 Kilometer Tiefe vor der indonesischen Küste den verheerenden Tsunami auslöste, flüchteten Elefanten und andere Tiere in Sri Lanka ins Landesinnere, lange bevor die ersten Flutwellen die Küste erreichten. Von Elefanten weiß man, dass sie über ihre empfindlichen Fußsohlen Infraschall, also tiefste Schwingungen über große Entfernungen wahrnehmen können. Sie könnten damit die Erschütterungen des Seebebens gespürt haben, da sich Infraschall im Gestein sehr viel schneller ausbreitet als im Wasser.

Andere Tiere wie Schlangen und einige Käferarten besitzen dagegen Infrarotsensoren und registrieren damit bereits minimale Temperaturänderungen, wenn in Erdbebenzonen um Vulkane aufsteigende Lava den Erdboden erwärmt. Und viele Vögel bemerken Schwankungen des Erdmagnetfelds, wie sie auch mit Erdbeben einhergehen. Und weil zahlreiche Vögel im Gegensatz zum Menschen auch im ultravioletten Bereich sehen, könnten sie womöglich Gase wahrnehmen, die vor einem Erdbeben aus dem Boden entweichen.

Warum die Krötenwanderung in Mianyang nun nicht als Warnung wahrgenommen wurde, ist unklar. Womöglich wurde den zuständigen Behörden das auffällige Verhalten der Tiere einfach nicht gemeldet. So wie im Juli 1976, als um die Stadt Tangshan die Erde wackelte. Damals starben bei dem Erdbeben der Stärke 7,8 Schätzungen zufolge etwa 650.000 Menschen. Warnungen über das merkwürdige Verhalten der Tiere seien den Verantwortlichen damals einfach nicht weitergeleitet worden, schreibt Tributsch in seinem Buch.

Jürgen Oeder, AFP
Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,553571,00.html

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