Neuer Erbgutvergleich belegt Vermischung vor rund 60 000 Jahren
Das Neandertaler-Genom liefert verblüffende Erkenntnisse über die menschliche Evolution: Demnach hat sich der Homo sapiens vor grob 60 000 Jahren wahrscheinlich mit seinem nächsten Verwandten vermischt. Wie Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie im Fachblatt »Science« (Bd. 328, S. 710) berichten, stammen ein bis vier Prozent der Erbanlagen des modernen Menschen vom Neandertaler.
In der Evolutionsgeschichte sind Neandertaler die nächsten Verwandten des Menschen. Vor etwa 400 000 Jahren spaltete sich der Homo neanderthalensis in Afrika von einem gemeinsamen Vorfahren ab und verließ den Kontinent lange vor dem Homo sapiens. Die Neandertaler verbreiteten sich über Europa und Westasien und starben schließlich vor rund 30 000 Jahren aus. In der Zwischenzeit kreuzten sich die Wege der Artverwandten erneut, wie archäologische Funde belegen.
Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut entschlüsselte das Genom des Neandertalers aus Knochen dreier Frauen, die vor rund 40 000 Jahren im heutigen Kroatien lebten. Die bisherigen Sequenzen repräsentieren gut 60 Prozent des gesamten Neandertaler-Erbguts. Die Forscher verglichen die DNS-Bausteine minuziös mit dem Genom von fünf heutigen Erdbewohnern aus Süd- und Westafrika, Papua-Neuguinea, China , Frankreich. Resultat: Die Neandertaler-Gene gleichen jenen von Europäern und Asiaten stärker als jenen von Afrikanern. Ähnlichkeiten fand man sogar bei den Ostasiaten, obwohl Neandertaler dort nie lebten.
Daraus folgern sie, dass die frühen Menschen sich mit ihren Artverwandten vermischten, nachdem sie vor rund 80 000 Jahren Afrika verlassen hatten – vermutlich vor grob 60 000 Jahren im Nahen Osten. »Neandertaler haben sich wahrscheinlich mit frühen modernen Menschen vermischt, bevor Homo sapiens sich in Europa und Asien in verschiedene Gruppen aufspaltete«, vermutet Pääbo. »Diejenigen von uns, die außerhalb Afrikas leben, tragen ein kleines bisschen Neandertaler in sich«, sagt Pääbo.
Grundsätzlich aber wollen die Forscher jene Gene aufspüren, die den Menschen vom Neandertaler wie auch von den anderen Organismen auf der Erde unterscheiden – den Schlüssel zur eigentlichen Identität des Menschen. »Der Vergleich der Gensequenzen gibt uns die Möglichkeit zu erfahren, wo wir uns in unserem Genom von unseren nächsten Verwandten unterscheiden«, sagt Pääbo.
Zu 99,7 Prozent sind das Erbgut von Mensch und Neandertaler identisch. Zum Vergleich: Die Ähnlichkeit beider Vettern mit dem Schimpansen, der den gemeinsamen Stammbaum vor etwa sechs Millionen Jahren verließ, liegt jeweils bei 98,8 Prozent. Insgesamt fanden die Forscher im Erbgut von Mensch und Neandertaler 212 Regionen, die sich unterscheiden. Dazu zählen drei Gene, die die geistige Entwicklung beeinflussen. Ein weiteres Gen ist am Energiestoffwechsel beteiligt, ein drittes an der Entwicklung von Schädel, Schlüsselbein und Brustkorb.
Das Bild oben zeigt die kroatische Vindija-Höhle, in der die drei Neandertalerknochen gefunden worden waren, aus denen die Genetiker um Svante Pääbo Erbmaterial unserer nächsten Verwandten extrahierten. Insgesamt verglichen die Wissenschaftler aus dem Ergbut heutiger Menschen 2825 Abschnitte afrikanischer und 2797 europäischer Herkunft.
War sich Pääbo noch 2008 sicher, dass es zwischen Homo sapiens und Neandertaler keinen genetischen Austausch gegeben hat, bestätigen die jüngsten Analysen nun, was Modellierer (oben im Neanderthal-Museum Mettmann) im Bild vorwegnahmen – die enge Verwandtschaft.
Von Walter Willems
Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/170615.der-neandertaler-in-uns.html
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Rekonstruktion eines Neandertalermädchens:
Bildquelle und weiterführendes: http://de.wikipedia.org/wiki/Homo_sapiens_neanderthalensis
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